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Die Bildfliesen im Treppenhaus von Schloss Falkenlust zu Brühl

Wilfried Hansmann und Wilhelm Joliet
in: Jahrbuch der Rheinischen Denkmalpflege, Band 37, Köln 1996

Im Frankreich des 18. Jahrhunderts galt es als ausgesucht vornehm, wenn alles Bildwerk in einem Jagdschloss auf die Jagd, in einem Falkenhaus auf den Falken deutete(1). Schloss Falkenlust(2), errichtet von 1729 an als Refugium des Kölner Kurfürsten Clemens August aus dem Hause Wittelsbach, eines leidenschaftlichen Falkenjägers, muss nach französischem Maßstab als Musterbeispiel an Vornehmheit gegolten haben. Das Falken-Reiher-Thema ist hier erfindungsreich und geistvoll ausgebreitet, am Außenbau wie im Innern. Einer der originellsten Räume, dessen Bildwelt die Funktion des Schlosses spiegelt, ist das Treppenhaus.
Die einläufige Eichenholztreppe, von einem Ziergitter aus Schmiedeeisen begleitet, führt durch einen annähernd zehn Meter hohen, im Grundriss rechteckigen Raum, der vom Boden bis zur Decke mit ca. 10.000 Fliesen in blauer Inglasurmalerei auf weißem Grund bekleidet wurde.(3) Unter Treppenlauf und Podest ist die Fliesendekoration auf den Fond gemalt (1970 durch die Restaurierungswerkstatt II des Rheinischen Amtes für Denkmalpflege aufgedeckt und restauriert).

                                         

Abb. 1 Blick ins Treppenhaus nach Südwesten            Abb. 2 Treppenlauf und Ostwand

Die Decke zeigt eine Stuckrahmung von Castelli und Carlo Pietro Morsegno auf blauem Grund. Den Plafondspiegel schmückt eine Treillagenmalerei mit Falkenjagdszenen in Blautönen von Stephan Laurenz de la Roque, dessen Gehilfen die gemalte Fliesendekoration unter Podest und Treppenlauf auszuführen hatten. Das zweiseitig einfallende Licht strahlt von der Glasur der Fliesenbekleidung intensiv zurück; jede Unregelmäßigkeit der Beleuchtung wird dadurch ausgeglichen.
Auch der untere Salon ist mit Wandfliesen ausgestattet. Sie sind ebenfalls in den Farben Weiß und Blau gehalten; schöne Fliesenbilder spielen auf die Falkenjagd, Initialkartuschen auf den Bau- und Jagdherrn an.
Fliesen im Treppenraum eines Schlosses, wie sie in Falkenlust verwendet sind, gibt es nicht häufig. Vorbild dürfte das winzige Stiegenhaus der Pagodenburg im Park von Schloss Nymphenburg (4) gewesen sein, die Joseph Effner 1716/19 für den bayerischen Kurfürsten Max Emanuel, den Vater Clemens Augusts, errichtete. Erdgeschosssaal und Treppenhaus der Pagodenburg sind mit niederländischen Fliesen bekleidet, die Max Emanuel überaus schätzte, hatte er doch lange als Statthalter der Niederlande im Land der Fliesen verbracht; die Vorliebe für sie vererbte er seinen Söhnen Karl Albrecht und Clemens August.
Die Fliesen der Pagodenburg ersetzen Porzellan, das eigentlich zu einem Chinahaus gehört. Weiß und Blau sind die Farben des Chinaporzellans, zugleich die Farben Bayerns und des Hauses Wittelsbach. Ähnlich zeugt die Fliesenbekleidung des Treppenhauses und des unteren Salons in Falkenlust von der Chinabegeisterung Clemens Augusts, die sich bei ihm verband mit der Leidenschaft für die Falkenjagd, zu der man in Kurköln wie in Kurbayern eine blaue silberverzierte Uniform trug. Das Farbraffinement durch die Bekleidung der Räume mit Fliesen hat also verschiedene einander durchdringende Bedeutungsschichten.
Grundmotiv der Wandgliederung im Falkenluster Treppenhaus ist ein rhombenförmiges Netz aus Fliesen mit den Rauten des wittelsbachschen Hauswappens. Dieses Netz schließt zwei Gruppen von Bildfliesen ein; vertikal wie horizontal wiederholen sie sich motivgleich, in der Diagonale wechseln sie sich jedoch ab. Die Blaunuancen der Rautenfliesen wirken intensiver als die der Bildfliesen, die auf diese Weise spannungsvoll in die Musterstruktur eingebunden sind.

                                  

Abb. 3 Fliesen mit Teilnehmern der Falkenjagd            Abb.4 Fliesen mit Falken und Reihern

Jede der beiden Motivgruppen besteht aus 18 Fliesen, die in Form einer Quer- und einer hochgestellten Raute angesetzt sind: querformatig die Teilnehmer an der Jagd und das Jagdgeschehen in den Lüften, hochformatig Beute- und Jagdvögel. Jede Fliese zeigt ein Einzelmotiv; es handelt sich also nicht um Tableaus, obgleich die Einzelmotive szenisch vielfach miteinander verbunden sind.

Abb. 5 Fliesen mit Teilnehmern an der Falkenjagd.
Die Zählung 1-18 gilt für diesen Aufsatz.
Mit C1-C18 bezeichnete die Manufaktur die Fliesen auf der Rückseite

Die Motivgruppe in Form der Querraute setzt sich aus folgenden Einzelmotiven zusammen, angeordnet in fünf von unten nach oben zu lesenden Reihen, beginnend jeweils links:
1. Sitzender Falkner nach rechts, die Linke erhoben, auf der Rechten einen Falken. 2. Falkenjunge mit Falken auf der Trage, nach links gehend. - 3. Falkner in Rückenansicht auf galoppierendem Pferd nach rechts. 4. Reitender Falkner in Seitenansicht nach rechts, nach oben schauend. 5. Reitender Falkner mit Falken auf der Rechten, Pferd und Reiter in Rückenansicht. 6. Sich umwendender Falkner auf nach links galoppierendem Pferd. - 7. Zwei sitzende Damen mit Fächern in den Händen als Zuschauerinnen bei der Falkenjagd, nach rechts gewendet. 8. Nach rechts schreitender Falkner mit dem Federspiel. 9. Kniender Falkenjunge mit Fischen. 10. Falknerin zu Pferd, nach rechts vorne reitend. 11. Falkner auf stehendem Pferd nach links; das Pferd wendet den Kopf nach rechts, der Reiter den Kopf nach oben. 12. Zwei Damen mit Fächern als Zuschauerinnen, nach links schreitend. - 13. Fliegender Reiher nach rechts. 14. Fliegender Falke nach rechts. 15. Fliegender Reiher nach rechts, den Schnabel abwehrend gegen den angreifenden Falken (18) nach oben gestellt. 16. Fliegender Reiher nach rechts. 17. Fliegender Falke nach rechts. 18. Fliegender Falke nach rechts, den Reiher (15) angreifend.

Abb. 6 Fliesen mit Falken und Reihern.
Die Zählung 19-36 gilt für diesen Aufsatz.
Mit D1-D18 bezeichnete die Manufaktur die Fliesen auf der Rückseite.

In gleicher Betrachtungsweise von unten nach oben folgen die Darstellungen der Motivgruppe in Form der hochgestellten, sechsreihigen Raute:
19. Reiherhorst mit Jungvögeln, denen sich der Reiher (21) im Fluge nähert und dem sie die aufgerissenen Schnäbel entgegenstrecken. 20. Fliegender Falke nach rechts mit erhobenem Kopf nach links. 21. Fliegender Reiher mit Fisch im Schnabel, sich den Jungreihern (19) nähernd. 22. Zwei Falken auf der Reck, der rechte aufflatternd, mit Hauben; darauf das Monogramm CA. 23. Zwei Falken auf der Reck, mit Hauben; darauf das Monogramm CA. 24. Fliegender Falke nach rechts. 25. Ein Falke greift einen Reiher in der Luft von oben links an. 26. Fliegender Reiher nach rechts mit Fisch im Schnabel. 27. Reiher nach links im Schilf, einen Fisch im Schnabel. - 28. Reiher nach rechts im Schilf mit Fisch im Schnabel. 29. Fliegender Reiher nach rechts. 30. Falke, einen Reiher in der Luft von links angreifend. 31. Fliegender Falke nach rechts, den Kopf nach oben links gewendet. 32. Fliegender Reiher nach links. 33. Fliegender Falke, nach rechts unten stoßend. 34. Fliegender Falke nach rechts, auf den Reiher (35) zustoßend. 35. Fliegender Reiher nach rechts, den Kopf zum angreifenden Falken (34) gewendet. 36. Fliegender Falke nach rechts.
Die Fliesenreihen mit den Figuren und Pferden sind szenisch aufgefasst. Dies ist an der Gestaltung der Erdzone abzulesen, die sich panoramaartig über die Fliesen fortsetzt. Als szenische Komposition lassen sich auch Falken und Reiher in den Lüften über der Falkenjagdgesellschaft betrachten, wobei der Kampf zwischen Falke und Reiher im Mittelpunkt steht. Andere Falken nähern sich den Kämpfenden, andere Reiher streichen vorüber; dabei erscheint der Reiher 16 in der rechten oberen Ecke der Fliese - wie die erhaltene Durchstaubschablone zeigt, bewusst so komponiert, um den Eindruck des eiligen Hinwegfliegens hervorzurufen und freien Raum zu lassen hinsichtlich der Vögel und Figuren auf den Nachbarfliesen.
Die Vogel-Motive der zweiten Bildgruppe wirken eher wie zufällig zusammengestellt - dekorativ arrangiert. Dies aber ist der Sinn dieser Fliesenbekleidung: Es soll ein grandioser schmuckvoller Raumeindruck entstehen, der zugleich auf die hohe Bedeutung des Bauherrn und seine Leidenschaft für die Falkenjagd anspielt.
Carla H. de Jonge wies in ihren Arbeiten über den Fliesenschmuck der Brühler Schlösser Augustusburg und Falkenlust auf eine Anzahl von Durchstaubschablonen (5) (sog. sponsen) im Rotterdamer „Gemeentearchief" hin, die bei der Herstellung der Falkenluster Fliesen benutzt wurden. Die Verfasserin hielt es für wahrscheinlich, daß diese Durchstaubschablonen aus der Rotterdamer Fayencewerkstatt „De Bloempot" der Familie Aalmis stammen.(6) Da es zu jener Zeit in Rotterdam aber noch andere „tegelbakkers" gab,(7) ist diese Zuschreibung gewagt; einzuräumen ist, dass die Manufaktur des Jan Aalmis sen. um 1730 die bedeutendste und wohl auch leistungsfähigste war.(8) Es hätte der Bau- und Künstlerpolitik Clemens Augusts widersprochen, einen Auftrag von solchem Umfang und Reputationsgehalt wie die Herstellung von Fliesen für Falkenlust nicht an eine führende Manufaktur zu vergeben.(9)
Unberücksichtigt im Entstehungsprozess der Fliesen blieben bislang die gemalten Motivvorlagen, ebenfalls im „Gemeentearchief“ von Rotterdam, nach denen die Durchstaubschablonen gefertigt wurden.

                 

Abb. 7    Fliesen 7, 8, 1 (von oben) und die dazugehörigen Durchstaubschablonen   
                          

 

 Abb. 8  Fliesen 25, 16, 27 (von oben) und die dazugehörigen Durchstaubschablonen

Schriftzeugnisse für die Beauftragung der Fayencewerkstatt „De Bloempot" seitens der kurfürstlichen Baubehörde fehlen. Doch ist die Herkunft der Fliesen aus den Niederlanden belegt; zurecht spricht C. H. de Jonge von einem besonders wertvollen Beitrag der niederländischen Fliesenmanufaktur in der Zeit der Regence.(10) Die Falkenluster Baurechnungen für 1731 vermelden: „Denen Erben deß Johann Baptist Dulman in Cöln für fracht von 26 Kisten voll porcellaine plattgen so auß Hollant kommen seynt lauth bey-lag zahlt 78 (Reichstaler) 581/2 (Stüber)".(11) Diese Lieferung umfasste eine beträchtliche Stückzahl. In Rotterdamer Fliesenwerkstätten waren in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Verpackungseinheiten von 250 bzw. 500 Stück üblich. Für den Export wurden bevorzugt 500 Fliesen in einer Kiste verpackt. Nach Falkenlust dürften die Fliesen jedoch in beiden Verpackungseinheiten geliefert worden sein, insgesamt jedenfalls wenigstens um die 10.000 Stück. 1736 verzeichnen die Baurechnungen eine Zahlung für eine weitere Fliesenlieferung nach Falkenlust; diesmal erhielten „Dülmans Erben in Cöllen" Frachtkosten für „5 Kisten porcelaine plättgen auß Hollande".(12) Unmöglich zu sagen, für welchen Raum diese Fliesen bestimmt waren.(13)
Bald nach der großen Fliesenlieferung war der „Holländische Mäurersgesell" Cornelius van Kleeff mit der „aufsetzung der porcelaine plättgen" beschäftigt: 1732 zahlte ihm das Bauamt 77 Reichstaler 40 Stüber 12 Heller an Lohn für 103 Tage Arbeit.(14) Zusätzlich weisen die Ausgaben für Falkenlust von 1732 für ihn auch die stattliche Summe von 40 Reichstalern 55 Stübern 8 Hellern „wegen Reiß Kosten"(15) aus.

       

Abb. 9   Abschlussgesims der Fliesenwände im Treppenhaus

Abb. 10   Eine Fliese im Treppenhaus aus fremdem Bestand, vermutlich aus dem unteren Salon

Für die Stuckteile der Decke wurden den „Hof Stuckadors" Castelli und Carlo Pietro Morsegno 1732 wie vereinbart 250 Reichstaler gezahlt.(16) Der Deckenstuck kann arbeitstechnisch erst ausgeführt worden sein, als die Fliesen angesetzt waren, denn der Fliesenleger arbeitete im damals üblichen Dickbettverfahren stets von unten nach oben; zum Schluss zog der Stuckateur das Abschlussgesims des Deckenkehlenstucks über die oberste Fliesenreihe. Nach Vollendung der Stuckarbeiten konnte Morsegno auch den Fond der Stuckaturen „mit blauer färb"(17) anstreichen, denn er hatte den Tonwert des Blaus der Fliesenwände vor Augen, auf den er seinen Blauton im Hinblick auf die Gesamtwirkung im Treppenhaus abstimmen musste.(18) Gleichzeitig schuf Morsegno die Stuckrahmung des Plafonds unter dem Treppenpodest und unter dem Treppenlauf. (19)„Ahn der kleinen plafond" - unter Treppenpodest und Treppenlauf - arbeiteten schließlich ein Geselle und ein Handlanger des Malers Stephan Laurenz (Laurent) de la Rocque von Ende März bis Ende Mai 1734 (20) In dieser Zeit entstand die gemalte Fliesendekoration, die durch die Restaurierungswerkstatt II des Rheinischen Amtes für Denkmalpflege wieder freigelegt und ergänzt wurde. 1736 erhielt Stephan Laurenz de la Rocque eine Zahlung für den großen Plafond, den er mit einem Gesellen und einem Handlanger ausführte.(21) 1737 empfingen einige Tagelöhner ihren Lohn, die im Treppenhaus noch Fliesen anzubringen hatten.(22)

Der Münchner Entwurf für den Treppenhaus-Plafond

Der sorgfältig mit kleinsten Details gezeichnete und lavierte Entwurf,(23) nach graphologischen und stilistischen Kriterien Stephan Laurenz de la Rocque zuzuschreiben, zeigt außer dem Deckenkehlenstuck den Plafondspiegel in einem früheren Planungszustand: Hier bereits erscheint das Dekorationssystem mit dem Netz aus Rautenfliesen und den eingeschlossenen Bildmotiven zu jeweils 18 Fliesen in quer- und hochformatigen Rhombenfeldern. Anders als in der späteren Fliesendekoration der Wände enthält nicht jede Fliese ein Bildmotiv, sondern die Figuren und Vögel innerhalb des Rautennetzes beanspruchen stets mehrere Fliesen; hierbei können einzelne Fliesen weiß bleiben.


Abb. 11 Stephan Laurenz de la Roque.
Entwurf für den Treppenhaus-Plafond in Schloss Falkenlust.
Münchner Stadtmuseum.

Wahrscheinlich wählte der Zeichner diese Art der Darstellung, um die Bildmotive im Entwurf nicht zu winzig erscheinen zu lassen; sonst hätte sie der Betrachter des Blattes - in erster Linie doch wohl Kurfürst Clemens August - kaum wahrnehmen können. Einige Motive entsprechen bereits denen, die später auf den ausgeführten Fliesen zu sehen sind: der sitzende Falkner (spiegelbildlich), der Falkner mit dem Federspiel, der Falkenjunge mit der Trage (spiegelbildlich), die reitenden Falkner, die beiden wandelnden Damen in einer Variante. Teilweise stimmen auch Falken und Reiher in den Lüften überein.
Als dieser Entwurf entstand, muss also das Grundkonzept für die Fliesendekoration auch der Wände entwickelt gewesen sein. Ferner war sich der Zeichner schon im klaren über die Motive einzelner Vorlagen für die Fliesenmaler. Das Blatt ist zwischen der Grundsteinlegung zum Schloss am 16. Juli 1729 und 1731 (Lieferung der Fliesen) zu datieren.
Castelli und Morsegno hielten sich bei der Stuckierung der Deckenkehle genau an den Entwurf. Stephan Laurenz de la Rocque verwarf den wohl eigenen frühen Plan, die Fliesendekoration der Wände offensichtlich gemalt auch über den Plafondspiegel auszubreiten: Die Struktur der Bildfliesen hätte in der Höhe des Raumes ein wenig repräsentatives Gewirr ergeben. Statt dessen schuf de la Rocque in seiner gewohnt sorgfältigen Manier eine phantasievolle Treillagenkomposition - blau in blau gemalt - mit Falkenjagdszenen, in denen Figurenmotive der Fliesen weiterentwickelt sind.

Die Rotterdamer Landschaftsveduten
mit Vorlagen für die Falkenluster Treppenhausfliesen

Das „Gemeentearchief" Rotterdam bewahrt zwei aquarellierte Landschaftsveduten, in die 22 der Vorlagen für die Falkenluster Fliesen als Ausschneidearbeiten aufgeklebt wurden - mit gestalterischem Geschick neu arrangiert.(24)

Abb. 12 Landschaftsvedute mit aufgeklebten Vorlagen für die Treppenhausfliesen.
Rotterdam, Gemeentearchief (3392).

Blatt 339225 zeigt in der Erdzone des Vordergrundes von links den Falkner mit dem Federspiel (8), den sitzenden Falkner (1), die Falknerin zu Pferd (10), den knienden Falkenjungen mit den Fischen (9) und den nach rechts reitenden Falkner in Rückenansicht (3). Zwischen der Falknerin und dem Falkenjungen ist ein Baumstamm gemalt, der sich fortsetzt in der Baumkrone mit dem Reiherhorst (19). Den Jungvögeln im Nest nähern sich aus den Lüften die Reiher 21 und 35. Den Himmel beleben ferner die Falken 17 und 18: Sie greifen den fliegenden Reiher 16 an.

Abb. 13 Landschaftsvedute mit aufgeklebten Vorlagen für die Treppenhausfliesen.
Rotterdam, Gemeentearchief (3393).

Blatt 339326 vereinigt in der Erdzone die sitzenden und die wandelnden Damen (7,12), ferner den galoppierenden Falkner (6) mit dem Reiher im Schilf (28). Die Luft bevölkern die Falken 17, 20 und 33 sowie die Reiher 15, 32 und die Falken-Reiher-Gruppe (25).
Wie der Baumstamm im ersten Blatt, so ist die Erdzone, soweit sie nicht Bestandteil der Vorlagen war, in Aquarell ergänzt. Manchmal fuhr der Pinsel großzügig um die ausgeschnittenen Motive herum, mitunter ist er über sie hinweggeführt, um sie farblich der Umgebung anzugleichen. Den weiten Horizont begrenzen auf beiden Blättern Häuser, jeweils eine Kirche und Windmühlen. Den hohen Himmel beleben Rot, Blau und auf Blatt 3393 (26)auch Grün in zartester Nuancierung.
Die Aquarellergänzungen sind mit lockerem Pinsel ausgeführt; sie erinnern an die oft naive Art niederländischer Fliesenmalerei für den bürgerlichen Geschmack. Reizvoll dennoch der Kontrast dieser späteren Malerei eines Kunsthandwerkers zu den sorgfältig ausgeführten Vorlagen, die der Hofkunst zugehören.
Diese Landschaftsveduten mit den Kollagen sind zweifellos Liebhaberarbeiten aus der Fliesenmanufaktur, jedenfalls vor der Mitte des 19. Jahrhunderts aufgrund des Hadernpapiers(27) entstanden, auf das die Vorlagen geklebt sind. Nachdem der Auftrag für Falkenlust ausgeführt war, hatten die Vorlagen ihren Zweck erfüllt. Ein Fliesenmaler erkannte die Qualität in Erfindung und Komposition, schnitt die Motive aus und setzte sie neu zusammen; - dann malte er oder ein anderer die Landschaft um die Figuren herum. Auf diese Weise blieben die Vorlagen erhalten. Sie wurden im Februar 1960 aus den Beständen des Museums Boymans - van Beuningen, Rotterdam, dem Archiv dieser Stadt übergeben.(28)

Abb. 14 Ausschnitt aus der Landschaftsvedute Abb. 12
mit den Vorlagen für die Fliesen 1. 10 und 19

Die aufgeklebten Vorlagen sind auf dickem Zeichenpapier mit wasserlöslichen Farben gemalt und mit der Feder akzentuiert. Die Stärke des Materials war Voraussetzung für die Wasserfarbenmalerei und für einen Arbeitsgang im weiteren Produktionsprozess der Fliesen: die Durchlöcherung der Vorlagen, um Durchstaubschablonen zu erhalten. Figuren, Tiere und Pflanzenwerk sind in Braunschwarz malerisch bis in feinste Einzelheiten ausgeführt, wobei die Konturen und Schattentiefen scharf in Schwarz betont und die Höhungen in bräunlichem Violett gegeben sind. Viele Binnenstrukturen erscheinen als Federstriche; die Hersteller der Durchstaubschablonen brauchten ihnen nur mit der Nadel zu folgen. Vielfach schimmert das gebräunte Zeichenpapier durch.

                         

Abb. 15                                                                     
Falke als Vorlage für die Fliese 20  aus der Landschaftsvedute Abb. 13

 

 Abb. 16   Die nach der Vorlage Abb. 15 gefertigte Durchstaubschablone

Helldunkelwerte waren die wichtigsten Vorgaben, die die Fliesenmaler vom entwerfenden Künstler brauchten, um die Motive mit dem Pinsel in Blauwerte auf die Zinnglasur zu übertragen. Hierfür benutzten sie als Hilfsmittel die Durchstaubschablonen.(29)Betrachtet man die Vorlagen aus der Nähe, so erkennt man hunderte feinster Nadeleinstiche auf den Konturen und in den Binnenzeichnungen: Auf eine Weichholzplatte hatte man mehrere Blätter Papier aufgeschichtet und darauf die Vorlage gelegt, Papier und Original dann mit Nägeln arretiert. Nun durchstach man die Vorlage; die unter ihr liegenden Blätter zeigten nach diesem Arbeitsgang die markanten Konturen der Vorlage als Perforation.(30) Die Vorlage hatte ihren wichtigsten Zweck  erfüllt. Doch legte sie der Fliesenmaler noch nicht beiseite, sondern stellte sie vor sich auf, um präzise die Binnenmodellierung etwa einer Figur übertragen zu können.
Durchstaubschablonen nach Kupferstichen herzustellen, war in den Manufakturen die Regel. Fliesenmalerei nach eigens für Bildfliesen gemalten Vorlagen, dazu noch in solch großer Zahl, wie sie aus Kurköln geliefert wurden, war etwas Besonderes. Sie zählen zu den wenigen Vorlagen ihrer Art, die überhaupt noch existieren und sich einem Auftrag zuordnen lassen.
Zweifellos lautete der Auftrag, die motivischen Vorgaben so genau wie möglich auf die Fliesen zu übertragen. Dies wurde im wesentlichen beachtet, wenn auch unterschiedliche Hände mit schwankender Kunstfertigkeit den Pinsel führten. Die braun-violetten Höhungen der Vorlagen sind auf den Fliesen weiß; dagegen steht Blau kontrastvoll in oft nuancenreichen Schattierungen. Die Konturen und Schattentiefen erscheinen als rasch hingesetzte markante Linien. Selbst kompliziertere Formen wie der elegante Pferdeschweif, das aufwendige Flechtwerk des Reiherhorstes oder das Gefieder der Vögel sind sorgfältig nachgebildet. Die hohe Qualität der Fliesenmalerei erweist sich auch, vergleicht man sie mit den Tableaus der Fliesendekoration im unteren Salon, die auf Vorlagen gleicher Herkunft wie die der Fliesen beruhen dürften. Ähnlich findet sich dort der Reiherhorst, wesentlich größer im Format und demgemäss detailreicher in der Malweise (Abb. 17). Das kleinere Format der Fliese zwang zur Vereinfachung, aber ihr haftet nichts Flüchtiges und Nachlässiges an.

 

Abb. 17   Reiher am Horst. Fliesenbild im unteren Salon.

Abb. 18   Reiher am Horst. Fliesen im Treppenhaus.                                                                                                                                                            

Selten ist zu beobachten, dass die Bodenpartien der Fliesen mit den Reitern und Figuren sowie mit dem Reiher am Schilf passgenau aneinander liegen. Um dies zu erreichen, hätte man die Motive tableauartig malen, d. h. man hätte mehrere Fliesen nebeneinander legen und die ganze Szene über sie verteilen müssen. Dies unterblieb; jedes Motiv wurde als in sich abgeschlossen ausgeführt - ohne den Blick auf die Nachbarfliese, auf der sich das Bodenpanorama fortsetzt. Auch der beste Fliesenleger konnte nicht mehr allzu viel an den Verschiebungen korrigieren. Aber sie scheinen nicht als qualitätsmindernd empfunden worden zu sein. Auch die Initialen CA auf den Hauben der Falken gelangen nicht immer so, dass sie deutlich zu lesen sind.

Der Maler der Fliesenvorlagen

Der entwerfende Künstler der Fliesenmotive dürfte unter den führenden Meistern ihres Faches zu suchen sein, die Clemens August für den Bau von Schloss Falkenlust zur Verfügung standen. Es liegt nahe, auch die Fliesenvorlagen Stephan Laurenz de la Rocque (31) zuzuschreiben, der in den Baurechnungen als Schöpfer des Deckengemäldes im Treppenhaus überliefert ist und dessen Gehilfen die gemalte Fliesendekoration unter Treppenpodest und Treppenlauf schufen.

                                                              
Abb. 19 Ausschnitt aus der Landschaftsvedute Abb. 13  mit den Vorlagen für die Fliesen 7 und 12.      

Abb. 20      Schloss Falkenlust. Jagdszene aus dem Treppenhaus-Plafond.

Nach Ausweis der Baurechnungen war de la Rocque um 1730 die leitende Kraft unter den Malern, dem eine Reihe von Gehilfen unterstand. Auch in der Bonner Residenz arbeiteten Malergesellen und Handlanger „unter dem Laroque",(32) und für Verpflichtungen in Schloss Augustusburg zu Brühl erhielt er 1728 für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Oktober „vermög Churfürstlichen gnädigsten Befehl" Kostgeld von täglich 30 Stübern, obwohl er in dieser Zeit gar nicht in Brühl anwesend war.(33) Dies deutet auf Wertschätzung und herausgehobene Stellung hin. De la Rocques künstlerische Führungsrolle unter den Malern ist vergleichbar der des Johann Franz von Helmont unter den Bildhauern. Dieser beschäftigte ebenfalls Gehilfen, die für ihn in Falkenlust tätig waren und nach seinen Modellen zu arbeiten hatten.(34)
Leider wurde das Falkenluster Deckengemälde im 19. Jahrhundert grob übermalt, sodass de la Rocques Handschrift verfälscht überkommen ist. Dennoch finden sich vergleichbare Elemente in den Fliesenvorlagen und im Deckenbild, die auf einen gemeinsamen Urheber hindeuten. Der sitzende Falkner mit der erhobenen Linken und der Falkner mit dem Federspiel der Vorlage sind in Haltung und Konturierung vergleichbar mit Falknern aus zwei Deckenszenen. Auch die stehenden Damen mit den Fächern werden in einem Deckenbild variiert. Charakteristisch für die beiden sitzenden Damen mit Fächern ist ihr spitzschlanker Fuß, den die linke Dame elegant weit zur Seite ausstreckt. Ähnlich die Sitzhaltung und Fußform der vorderen Dame beim Falkner, der den Falken steigen lässt, im Deckengemälde. Um stilistische Einzelheiten besser vergleichen zu können, ist ein Blick auf das gut erhaltene Deckengemälde „Aurora und Diana" im oberen Vestibül hilfreich; dieses Bild, wohl 1733 entstanden, ist mittelbar für de la Rocque in Anspruch zu nehmen; überliefert ist die Mitarbeit seines Gesellen Johann Adolf Biarelle (35) und eines Handlangers.(36) Handschriftliche Übereinstimmungen zeigen die nervöslebendig ausfahrenden Falten der Stoffe und die Bildung der Gesichter mit breiter Stirn, großen Augenhöhlen, kurzer Nase und markant aufgeworfener Oberlippe.(37) Das lang nach hinten gestreckte Bein der Dame mit Fächer kehrt bei Diana wieder; charakteristisch beide Male der mächtige Oberschenkel. Die Federstruktur der Flügel Auroras und der Putten, die sie begleiten, ist in den Flügeln der Vögel auf den Vorlagen vorgebildet. Die ausgestreckte Linke Auroras mit dem hochgestellten Daumen findet sich ebenfalls in den Vorlagen und im Deckengemälde des Treppenhauses wieder.
Nicht zu klären ist der Anteil von Gehilfen an den Vorlagen. Komposition und Stil der Deckengemälde - wie auch der Vorlagen für die Fliesen - prägte jedenfalls der Hauptmeister; seiner Handschrift passten sich die Gehilfen an.(38)

Ansichten von Falkenlust mit Fliesenmotiven aus dem Treppenhaus

Die Handschrift des Zeichners und Malers Renier Roidkin (39) verraten drei unpublizierte Tuschpinselzeichnungen - Ansichten von Falkenlust -, die neben den Gebäuden Szenen der Falkenbeize im freien Gelände um das Lustschlösschen zeigen.(40) Eines der Blätter trägt ein zweistrophiges Sonett „Sur un Heron glorieux de porter les Armes de deux Princes Augustes" (Auf einen glorreichen Reiher, der Ringe mit den Wappen zweier erhabener Fürsten trägt); es spielt auf Jagdereignisse von 1729 und 1730 an.(41) Das Blatt kann frühestens um 1732 entstanden sein, denn es zeigt die Falkenluster Kapelle, deren Dachstuhl und Knauf zum Aufsatzkreuz 1733 bezahlt wurden.(42)
Der Zeichner muss die Fliesen des Treppenhauses in Falkenlust gekannt haben, denn einzelne Reiter und Figuren kehren in den Blättern wieder - meist spiegelbildlich und nur wenig variiert: Das Blatt mit der Unterschrift „Veue dans la Champagne de Falkenloust vers le Septentrion" vereinigt die Reiter 3, 4, 5 und 11, den knienden Falkenjungen mit den Fischen (9) und den Falkner mit der Trage (10). Auf dem Blatt mit dem Sonett kehrt der Reiter 3 - jetzt seitenrichtig - noch einmal wieder. Auf Roidkins Bonner Zeichnung des Schlosses Falkenlust mit dem Siebengebirge im Hintergrund ist er ebenfalls übernommen, zusammen mit einer Variante des Reiters 4. Ferner kommt hier zweimal der Reiher 16 vor.
Der Zeichner machte sich die Motive wohl weniger zu eigen, um dem Kurfürsten zu schmeicheln, sondern weil er ihre künstlerische Reife erkannte. Deshalb konnten sie nach der Denkweise der Zeit als gültige Formulierungen wiederverwendet werden. Die Blätter sind somit Zeugnisse für früheste Rezeption von Motiven der Falkenluster Bildfliesen. Sie wurden also von den Zeitgenossen wahrgenommen, dabei ihr Wert und ihre Schönheit erkannt.

Markierungen auf den Rückseiten der Fliesen

Wie deponierte Fliesenfragmente und Einzelfliesen aus dem Treppenhaus zeigen, tragen ihre Rückseiten Buchstaben und Zahlen. Anhand dieser Markierungen, die sich für die ganze Fliesenfolge rekonstruieren lassen, war es für den Fliesenleger unzweifelhaft, in welcher Reihenfolge die Motive anzusetzen waren. Die Fliesen mit den Rauten, die regelmäßig im Quadratfeld stehen und deren stumpfe Winkel der weißen Rauten ihren Scheitelpunkt genau in der Diagonalen haben, sind mit dem Buchstaben A gekennzeichnet – es ist die Mehrzahl der Rautenfliesen. Für die Viererkombination in den Kreuzungspunkten des Rautenfliesennetzes waren die Rautenmuster der Einzelfliesen nicht passgenau: Um eine Ausgleichsmöglichkeit zu schaffen, wurden Fliesen angefertigt und rückseitig mit B bezeichnet, deren Muster leicht aus der Diagonalachse verschoben ist. Aber trotz dieses „Korrekturtyps" gelang es selten, das Rautenmuster in der Viererkombination ohne Verschiebungen im Musterbild anzusetzen. Im unteren Salon erscheint das ungleich sorgfältiger gemalte Rautenmuster ohne Versprünge.
Jede der beiden Motivgruppen ist entgegen allen bekannten Nummerierungen nicht von unten links nach rechts oben, sondern umgekehrt durchgezählt: die Falkenjagdgruppen C1-C18, die Falken-Reiher-Gruppen mit D1-D18. Die Art der Zählung hat das Ansetzen der Fliesen von unten nach oben keineswegs erleichtert. Anders z. B. die Markierung eines Fliesenbildes mit Harlekin im Sommerspeisesaal von Schloss Augustusburg.(43) Hier ist der Motivzusammenhang mit Z gekennzeichnet, und die Reihenfolge, wie die sechs Fliesen anzusetzen sind, um ein Bild zu erhalten, ist durch Ziffern markiert; die beiden niedrigsten, mit denen der Fliesenleger beginnen musste, stehen unten.

Beobachtungen zur Herstellungstechnik der Fliesen

Die Fliesen waren darauf berechnet, im dekorativen Zusammenhang an den Treppenhauswänden zu wirken. Materialfehler fallen nur dem ins Auge, der eingehend die Einzelheiten betrachtet. Für den Fliesenkenner sind technische Einzelheiten wichtig, die einmal die ursprünglichen Fliesen von späteren Ergänzungen unterscheiden helfen, zum anderen auch Hinweise geben auf den Herstellungsprozess in der Fliesenmanufaktur. Wenn wir heute die Vielfalt der Blau- und Weißnuancen der mit Unebenheiten übersäten Glasuren als besonders lebendig und als Zeugnis für altes Kunsthandwerk schätzen, so waren dies eigentlich größtenteils Unzulänglichkeiten bei der Produktion, die hingenommen wurden in der Hoffnung auf eine frappierende Gesamtwirkung.
Folgende Merkmale zur Technik der Fliesenherstellung im 18. Jahrhundert, aber auch Mängelerscheinungen sind zu beobachten:
- Einstiche in Eckbereichen (sog. prikken)
Auf den auf Stärke von ca. 8 mm gewalzten Ton wurde eine Holzschablone gelegt, und an deren Kanten vorbei die rohe Fliese mit einem Messer geschnitten. Im 17. Jahrhundert hatte die Schablone an allen vier Ecken einen Messingnagel, der sich bei der Formgebung in den Ton bohrte und so ein Verrutschen der Schablone verhinderte. Als die Fliesen im 18. Jahrhundert wesentlich dünner wurden (nur noch ca. 8 mm stark gegenüber früher ca. 12-15 mm), reduzierten die Fliesenbrenner die Messingnägel auf zwei in diagonaler Anordnung.
- Wölbung in der Mitte der Fliese (sog. hart = Herz)
Zum Trocknen wurden die lederharten geschnittenen Fliesen um den Brennofen gestapelt, die Stapel in gleichen Zeitabständen jeweils um 90 Grad gedreht. Die Trocknung erfolgte demgemäss von den Fliesenkanten nach innen. Dies bedeutete, dass die Fliesen beim Rohbrand in der Mitte minimal feuchter waren als in den Randbereichen. Zum Rohbrand wurden die Fliesen ohne Abstand gestapelt. Die Brenntemperatur konnte in den Kantenbereich stärker einwirken als in den Masseschwerpunkt. Dies war die Ursache für die an vielen Fliesen im Streiflicht zu erkennende Wölbung in der Mitte.
- Fehlstellen in der Glasur
Die Zinnglasur wurde durch Anwerfen des Glasurschlickers auf den Scherben aufgetragen. Dabei konnten in Vertiefungen der Fliesenoberfläche leicht Luftbläschen eingeschlossen werden. Der Maler merkte das bei seiner Arbeit nicht. Begann die Glasurschicht im abschließenden Brand zu schmelzen, hatte sie am Anfang die Tendenz, sich oberflächlich zusammenzuziehen. Dadurch konnten sich Hohlräume öffnen oder wenn die Glasur schon zähflüssig war, wurde sie gasundurchlässig, die Luftblase dehnte sich bei Erwärmung aus, platzte auf und ergab ein Loch in der Glasurschicht. Wurde die Glasur im weiteren Brandverlauf nicht wesentlich flüssiger oder geschah das Öffnen der Fehlstellen erst gegen Ende des Brennprozesses, konnten diese meist runden Löcher nicht wieder zufließen.
Es konnten auch bei schnellem und ungleichen Aufheizen des Brennofens gasförmige Bestandteile an bestimmten Stellen verstärkt aus dem Scherben austreten, die lokal die zähflüssige Schmelze durchdrangen und dadurch Löcher in der Glasurschicht hervorriefen.
Typisch bei diesen Glasurfehlern ist, dass die Löcher immer bis auf den Scherben reichen.
- Blaue Flecken auf weißer Glasur
Dies sind Verunreinigungen der Glasurschicht mit Farbe durch den Fliesenmaler, mitunter Fingerabdrücke.
- Unterschiedliche Farbintensität der Bemalung
Der Fliesenmaler rührte die Farbe aus eingefärbter und pulverisierter Glasurmasse mit Wasser an. Mittels regulierter Wasserzugabe konnte er die Intensität des Farbtons der Malfarbe bestimmen. Auch die Brenntemperatur im Glasur- oder Glattbrand bestimmte die Farbintensität der Bemalung. Je höher die Brenntemperatur war, desto heller kam die Farbe der Bemalung heraus. Da die Brennöfen im 18. Jahrhundert mit Holz gefeuert wurden - zuerst Eichen-, dann Fichten- und/oder Birkenholz -, war die Brenntemperatur im Ofen nicht gleichmäßig. Dadurch konnte es auch zu unterschiedlicher Farbintensität der Bemalung bei einem einzigen Brennvorgang kommen.
- Glasurwulst an einer Fliesenkante
Der flüssige Glasurschlicker (Zinnglasur) wurde mittels einer Schale in der Art einer halbierten Kokosnuss an den Scherben, die unglasierte, aber schon gebrannte Fliese, angeworfen. War der Scherben besonders stark saugfähig, so konnte die Glasurmasse an der unteren Fliesenkante aufstocken, und es bildete sich ein Glasurwulst. Ein gleicher Effekt ergab sich auch, wenn die Brenntemperatur beim Glattbrand zu hoch gefahren wurde. Die Glasurschicht begann abzulaufen und bildete an der unteren Fliesenkante einen Glasurwulst.
- Beschädigungen an einer Fliesenkante
Zum Glasurbrand setzte man die Fliesen im Brennofen auf Tonwülste. Wurde die Brenntemperatur zu hoch gefahren, konnte die Glasur an die Tonwülste anbacken, und die aufgesetzte Fliesenkante wurde beim Ausräumen des Ofens leicht beschädigt.
- Rotfärbung der weißen Glasur
Ein rötlicher Schimmer konnte entstehen, wenn die durch Zinnoxyd getrübte Glasur in einer zu dünnen Lage aufgebracht wurde. Zinnoxyd verstärkte die Farbe auch von wenig Eisenoxyd im gelblichen Scherben leicht rötlich bis rotbraun. Bei genauer Betrachtung kommt dieser Farbton aus der Tiefe der Glasurschicht. Eine andere Art rötlicher Schimmer konnte durch Oxydation der über Zinnglasur und Bemalung liegenden Bleiglasur entstehen. Dieser Schimmer ist dann allerdings nur wie ein Hauch auf der Oberfläche zu sehen.
Glasurfehler dieser Art empfindet man heute als besonderes Raffinement.
- Blaue Schatten neben dem gemalten Motiv
Ein solcher „Schatten" wurde häufig von den Fliesenmalern bewusst angelegt, um eine bessere räumliche Wirkung der Darstellung zu erzielen. In seltenen Fällen kam es aber auch beim Brennprozess dazu, dass die Bemalung über die Konturen „ausstrahlte" oder sogar von einer Fliese zur anderen „überstrahlte".(44)
Vergleiche und Würdigung
Die Initialen CA auf den Hauben der Falken deuten unmissverständlich dem Betrachter an: Diese Fliesen waren keine Marktware, sondern sie mussten eigens für Kurfürst Clemens August angefertigt werden. So sind denn bislang auch keine anderen Schlösser oder Herrenhäuser bekannt, in denen sich Fliesen mit den Falkenluster Motiven wiederfinden. Lediglich drei Vogelmotive ließen sich auf einem Fliesentableau nach Adriaen van Ostade in den Brüsseler Musees Royaux d'Art et d'Historie wiederentdecken.(45) Es handelt sich um die Reiher 13 und 16, ferner um den Falken 17. Sie stammen nicht aus Beständen, die in der Manufaktur noch vom Falkenlust-Auftrag zurückgeblieben waren, sondern sie wurden unter Verwendung der Falkenluster Durchstaubschablonen neu mit dem ganzen Tableau gemalt.
Der Fliesenauftrag für Falkenlust ist bezüglich Umfang und Qualität der Falkenjagdmotive unübertroffen geblieben. In Deutschland lässt sich wenig mit ihm vergleichen. Aus dem Markgräflichen Jagdschloss Gunzenhausen stammt eine „Falkenjagd auf Fliesen", heute im Städtischen Museum Gunzenhausen.(46) Es handelt sich um manganfarbene Fayencefliesen, die der „Porcellainer" Johann Georg Weiß, Fayencemanufakturbesitzer in Crailsheim, für den Mark­grafen Carl Wilhelm Friedrich von Brandenburg-Ansbach verfertigte und 1754 lieferte.(47) Im Unterschied zu den Fliesen in Falkenlust, die in Ansbach bekannt waren,(48) zeigt jede der Gunzenhausener Fayencefliesen ein in sich geschlossenes Bild mit einer Landschaft, in der die Falkenjagdszene spielt. Die Fliesenbilder erscheinen volkskunsthaft naiv; aber darin liegt ihr besonderer Charme. Einige Szenen folgen Gemälden: so der Falkenjunge mit den Falken auf der Trage einem Ölbild des ansbachischen Kammermalers Christoph Anton Hirsch von 1752 im Kreis- und Stadtmuseum Ansbach.(49)
Wohl Erzeugnisse der Ansbacher Fayencemanufaktur mit Falkenjagdmotiven sind Fliesen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, die als Füllungen von Wandpilastern eines stuckverzierten Raumes in Schloss Syburg im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen dienen. Jeweils paarweise sind Falkner zu Pferd, ein Falkenjunge mit der Trage und im Kämpferbereich der Pilaster eine Kampfszene zwischen Reiher und Falken angebracht. Dieses Fliesenensemble - abgestimmt auf Blau und Weiß - wirkt dekorativ und lebendig. Doch mit den Gunzenhausener Fliesen hat es gemein: Es reicht nicht an die Eleganz und die künstlerische Vollendung heran, die die Bildfliesen im Treppenhaus von Jagdschloss Falkenlust auszeichnen.

Herrn Prof. Dr. Wilfried Hansmann und dem Landschaftsverband Rheinland Dank für die Genehmigung zur Veröffentlichung dieses Berichtes.

www.wilfried-hansmann.de

www.denkmalpflegeamt.lvr.de

www.schlossbruehl.de

Die Schlösser Augustusburg und Falkenlust in Brühl sind seit 1984 UNESCO-Welterbestätte.

www.unesco-welterbe.de

www.vsmm.nl (HET VALKERIJ-MUSEUM / THE FALCONRY MUSEUM / DAS FALKENEREI-MUSEUM VALKENSWAARD)

www.d-f-o.de

www.britishfalconersclub.co.uk